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Tobis Radblog: Das Bianchi

Bianchi Infinito CV: Mein TRaum In Celeste

Ein großes Paket im Flur

Ich schließe die Haustür auf, und da steht der Karton im Flur, passenderweise als ich vom Radfahren zurückkomme. Ich zittere fast vor Freude. Ich bring erst das Rad, mit dem ich gerade gefahren bin, in die Wohnung, dann trag ich vorsichtig den riesigen Karton hoch, schließe die Tür, atme tief durch und dann: Auspacken. Erst das Vorderrad, dann den Sattel, dann den Rest, und dann steht sie vor mir, ein Schönheit in Himmelblau. Gut, die meisten würden sagen türkis, aber die offizielle Bezeichnung lautet nun mal "celeste": Ein Bianchi Infinito CV. Ein echtes Schnäppchen, 2017er Rahmen, Shimano Ultegra, Fulcrum Laufräder. Knapp 1.000 Euro runtergesetzt. 

Ein Bianchi mit Shimano? No way!

Nun müssen nur noch einige Modifizierungen vorgenommen, denn ein Bianchi braucht einen Campagnolo-Antrieb. Es kommt ein wenig Wehmut auf, denn für das Infinito muss meine gute alte treue Nummer Eins, Mrs. Robinson, ein wenig bluten. Ihre Chorus-Schaltung und ihre Campa-Bullet-Laufräder kommen an das Bianchi, dafür bekommt sie die Ultegra und die Fulcrums – eigentlich auch nicht soooo schlecht.

Rennrad Werkstatt
Ganz klar: Die Chorus muss ans Bianchi

Kompliziertes Prozedere

Früher wäre es so einfach gewesen. Ein Gang zum Laden des Fahrradmechanikers meines Vertrauens, und ein, zwei Tage später hätte ich es zurück, Bremsen und Schaltung sauber eingestellt. Den Laden des Fahrradmechanikers meines Vertrauens gibt es nicht mehr, aber zum Glück den Fahrradmechaniker. Samt der Werkstatt in seinem Keller. Nur gibt es da etwas zwischen dem Hinbringen und dem Abholen, abgesehen von den 20 Kilometern Weg nach Bergisch-Gladbach: Learning by Doing – Unter Anleitung und Mithilfe von Peter Zaun muss ich selber umbauen. Mit zwei linken Händen. Also, auf geht's, mit zwei Fahrrädern in der Straßenbahn.

Ein schmerzender Moment

Früher wäre es so einfach gewesen. Schnell stellt sich heraus, der etwas längere Prozess des Umbaus beinhaltet einen etwas kürzeren, aber sehr intensiven Prozess des Leidens: Es ist das kurzfristige, aber gefühlt ewig dauernde, Auseinanderfallen des Traumes (besser gesagt zweier Träume) in seine Einzelteile. Züge kappen, Lenker ab, Bremsen ab, Schaltung ab. Ich sehe zwei nackte Rahmen vor mir. Einer der gerade neu gekaufte "Traum in Celeste", noch keinen Meter gefahren. Der andere die liebe Miss Robinson, mit der ich 30.000 Kilometer gefahren bin, viele Schmerzen durchlitten und noch mehr Glücksgefühle erlebt habe, durch die Alpen, durch die Toskana und und und… Auch wenn sie nicht ausrangiert, und auch nicht großartig "downgegradet" wird – der Anblick schmerzt.

Interessante Einblicke

Dafür ist es interessant, endlich einmal einen Einblick zu bekommen, aus welchen (und wie vielen) einzelnen Komponenten so ein Rennrad besteht, wie zusammenwirken und es schließlich zu dem machen, was es ist. Und wie viel Mühe da drin steckt. Wie sich Campagnolo- und Shimano-Schaltungen wirklich unterscheiden (gerade an den Stellen, die man nicht sieht), welche Details für das eine oder andere Fabrikat sprechen. Es hält sich die Waage. Man kann daraus eine Ideologiefrage machen, für mich bleibt es eine Frage der Ästhetik und damit des Geschmacks. Und des Geldes. Campa ist meiner Meinung nach schöner, Shimano definitiv billiger. Blöd gelaufenJ. Aber wir sprechen hier von mechanischen Schaltungen, da hält es sich noch in Grenzen.

Zerstören ist leichter als Errichten

Es ist wie bei fast allem, das "Zerstören" geht schneller als das "Errichten". Aber erst mal die Prioritäten klären, da klar ist, dass wir nicht beide Räder an einem Tag wieder fahrtauglich bekommen. Ich bin als Fahrradmechaniker noch langsamer als als Radfahrer. Ich will unbedingt auf das Bianchi, als kommt das als erstes auf den Bock. Recht bald taucht das erste Problem auf. Der Tretlageradapter, in dem sich eine Shimanokurbel widerstandslos dreht, ist nicht unbedingt derselbe, in dem sich eine Campa-Kurbel widerstandslos dreht. Wir haben aber bloß den einen. Ohne geht auch nicht. Er scheint den Bruchteil eines Millimeters zu breit. Peter greift zu Hammer und Schraubenzieher und kloppt den Adapter aus dem Rahmen, um ihn genauer zu begutachten. Es bereitet mir fast körperliche Schmerzen, zu sehen (und zu hören), wie mein brandneuer Carbontraum in Celeste mit so einem primitiven und brachialen Werkzeug wie einem Hammer traktiert, beinahe penetriert wird. Schließlich fliegt der Adapter durch den Raum – große Erleichterung. Er wird untersucht, etwas abgeschliffen und unter erneuten Schmerzen des Beobachters in den Rahmen getrimmt. Ich schraube anschließend die Kurbel wieder rein – keine Verbesserung, und erneut fliegt der Hammer. Der Tag neigt sich dem Ende, wir werden es in der folgenden Woche mit neuen Lagerschalen versuchen.

Was Campa von Shimano trennt

Wir scheitern erneut, für die neuen Schalen ist die Kurbel eindeutig zu breit. Peter untersucht schließlich nochmal diesen kleinen Plastikadapter – in der Mitte ist ein ganz kleiner Grat. Ist die Achse die italienische Kurbel den Hauch eines Mikrometers dicker als das japanische Fabrikat? Sorgfältig entfernt Peter den Grat – tatsächlich, es funktioniert. Ich darf schrauben. Kurbel, Bremsen, Lenker, Schalt- und Bremshebel, schließlich Schalt- und Bremszüge und Lenkerband. Und trotzdem ich es fast alleine mache, ist auch die Schaltung schnell eingestellt. Ich bin stolz – bis auf die Sache mit dem Adapter habe ich das Fahrrad fast alleine zusammengebaut. Und es funktioniert. 

Erste Triumphfahrt

Nach erledigter Arbeit macht Peter uns noch einen Espresso, wir schauen uns das Fahrrad an, das ein paar Meter weiter steht. Ein wunderschöner Anblick. Ein paar Minuten später sitz ich drauf und fahr die ersten 20 Kilometer nach Hause. Ich mag gar nicht aufhören. Mein Traum in Celeste ist wahr geworden, eine Triumphfahrt, und sicher nicht die letzte.